Meinung

Wie es der Automobilbranche gelingen kann, international wieder Anschluss zu finden

Sebastian Bock — Mai 8, 2024

Deutschen Autobauern fehlt es an strategischer Weitsicht, meint Sebastian Bock. Die Hersteller sollten lieber auf kluge Investitionen ihrer Milliardengewinne setzen, statt EU-Gesetze infrage zu stellen. Vier Kriterien seien zu beachten.

41 Prozent kosten die kleinsten und günstigsten Autos der 5 größten europäischen Hersteller zwischen 2019 und 2023 mehr

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Es ist eine abgegriffene Floskel, dass Geschichte sich nicht wiederhole. Doch wer dieser Tage die Klagen der Automobilindustrie hört, mag sich ins Jahr 2019 zurückversetzt fühlen. Kurz bevor 2020 die ersten wirkungsvollen Klimaziele für Autohersteller in Kraft treten sollten, konnte sich die Politik kaum retten vor Lobbyisten, die den Abgesang auf eine ganze Industrie anstimmten.

Mit astronomischen Berechnungen zu Strafzahlungen wurden Ängste geschürt. Einzelne Schätzungen gingen von Strafen in Höhe von bis zu 34 Milliarden Euro aus, sollten die Hersteller ihre Emissionsziele reißen. Dann kam 2020 – und statt Milliardenstrafen verdreifachten sich die Verkaufszahlen von Elektro-Autos innerhalb eines Jahres. In der Europäischen Union (EU) wurden mehr E-Autos als in China verkauft und die Hersteller machten Rekordgewinne.

Deutschen Autoherstellern könnten im nächsten Jahr viele Milliarden Euro Bußgeld drohen

Fünf Jahre später stehen wir vor einer ähnlichen Situation. Die nächste moderate Verschärfung der CO2-Reduktionsziele um 15 Prozent steht an. Man könnte erneut meinen, in der Automobilindustrie gingen 2025 die Lichter aus, wenn die vereinbarten Ziele eingehalten werden müssen.

Besonders laut sind die Klagen in Deutschland. Dass BMW-CEO Oliver Zipse mantraartig seine Forderungen nach einer Reform der CO2-Regeln wiederholt, überrascht in Brüssel und Berlin schon lange niemanden mehr. Dass jedoch auch VW öffentlich ein Aufweichen der Ziele fordert, ist neu. Ein Blick auf die Zahlen erklärt warum. Vereinfacht gesagt berechnen sich die zu erwartenden Strafen aus der „Lücke“, die sich aus den Vorgaben der EU für den durchschnittlichen CO2-Ausstoß in Gramm pro Kilometer für die Fahrzeugflotten der Hersteller ergibt: Laut unserer Berechnung für 2023 muss beispielsweise VWs großer Konkurrent Stellantis lediglich eine Lücke von fünf Gramm pro Kilometer schließen. BMW muss seine Bilanz um neun Gramm pro Kilometer aufbessern, während Mercedes 18 Gramm pro Kilometer zum Ziel fehlen. Am dramatischsten stellt sich die Situation jedoch für Volkswagen dar: Der Unterschied zwischen Soll und Haben beträgt ganze 22 Gramm pro Kilometer.

Sollte sich diese Lücke nicht schließen, geht die Schweizer Großbank UBS davon aus, dass allein VW im nächsten Jahr über vier Milliarden Euro Bußgeld zahlen muss. Sind die Ängste der deutschen Industrie also berechtigt? Vier Argumente sprechen dagegen.

Es mangelt an bezahlbaren E-Autos für den Massenmarkt aus deutscher Produktion

Erstens ist die wichtigste Lehre aus der letzten Verschärfung der Emissionsziele, dass die Industrie in der Lage ist, die Lücken auch kurzfristig zu schließen. Unsere Berechnungen zeigen, dass der Anteil der E-Autos bei den EU-Neuzulassungen von 15 Prozent im Jahr 2023 auf 20 Prozent im Jahr 2025 steigen muss, um die Ziele zu erreichen. Das ist machbar. Und: Eine der Kernforderungen der Industrie an die Politik war immer, einen klaren Reduktionspfad festzuschreiben, um Investitionssicherheit herzustellen. Aus diesem Grund wurden die 2025-Ziele bereits 2018 verhandelt und 2019 beschlossen, um den Herstellern ausreichend Zeit zur Planung einzuräumen.

Zweitens lassen die Emissionsrichtlinien der EU für 2025 keinesfalls nur den Verkauf von mehr E-Autos als Erfüllungsoption zu. Die Hersteller könnten die Emissionen ihrer Fahrzeuge auch auf anderem Weg senken, beispielsweise durch den Verkauf kleinerer Autos. Leider haben aber die fünf größten europäischen Hersteller (BMW, Mercedes, Stellantis, Renault und VW) zwischen 2019 und 2023 die Preise ihrer kleinsten und günstigsten Modelle um 41 Prozent – und damit weit über der Inflationsrate – erhöht.

Drittens könnten die Hersteller den wohl wichtigsten Grund für den lahmenden Hochlauf der Absatzzahlen ihrer E-Autos adressieren: den Preis. Schuld daran, dass die Zulassungszahlen langsamer steigen als erwartet, ist auch der Mangel an bezahlbaren Elektrofahrzeugen für den Massenmarkt. Während Renault und Citroën (Stellantis) 2024 bereits Modelle unterhalb der wichtigen Preisgrenze von 25.000 Euro im Angebot haben, wird man auf einen bezahlbaren Stromer aus Wolfsburg wohl noch bis 2025 oder 2026 warten müssen.

Viertens Chinesische E-Auto-Hersteller drängen mit Macht auf den deutschen und europäischen Markt – während Mercedes, BMW, VW und Audi im größten Automarkt der Welt momentan keine Rolle spielen. Unter den Top 10 der in China verkauften E-Autos findet sich kein deutsches Modell. Einer der Gründe dafür: Während deutsche Hersteller sich meist drei bis vier Jahre pro Produktionszyklus Zeit lassen, brauchen BYD und Co. oft nur zwei Jahre und können so schneller und flexibler auf Kundenwünsche reagieren und Innovationen auf den Markt bringen.

Wenn die deutschen Autobauer noch die Absicht haben, der internationalen Konkurrenz zu zeigen, dass sie weiterhin im Rennen sind, sollten sie strategische Weitsicht zeigen, statt die CO2-Ziele zu schleifen.

Dieser Beitrag erschien zunächst am 7.5.2024 als Gastkommentar im Handelsblatt.

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