Weitestgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit entscheidet sich in Brüssel gerade die Zukunft der europäischen Autoindustrie - und damit der deutschen. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat zum “strategischen Dialog” geladen, um die Branche aus der Krise zu holen. Neben den großen Herstellern und Zulieferern sitzt T&E als Stimme der Zivilgesellschaft am Tisch, um sicherzustellen, dass der Dialog nicht allein durch die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen der Industrie dominiert wird.
Glaubt man den Herstellern, so hat ihre Krise nur einen Grund: Klimaziele, die Strafzahlungen vorsehen, sollten die seit über sechs Jahren bekannten Grenzwerte verfehlt werden. Der Dachverband der Industrie, ACEA, handelt vor jeder Veränderung der Grenzwerte nach einem mittlerweile bekannten Drehbuch: 2019 stimmte ACEA den Abgesang der Automobilindustrie aufgrund 2020 drohender Strafen an. 2024 übernahmen die Hersteller die apokalyptische Rhetorik, als Großbritannien seine Emissionsziele anpasste. Die Realität sah anders aus: weder 2020 noch 2024 fielen nennenswerte Strafen an.
Trotzdem blasen Hersteller und der VDA nun zum Frontalangriff auf die Regulierung. Unsere Berechnungen zeigen, dass allein der Vorschlag, 2025 und 2026 die dreckigsten Fahrzeuge nicht auf die Grenzwerte anzurechnen, zu 1.8 Millionen weniger verkauften E-Autos in den Jahren 2025 bis 2027 führen würde. Darüber hinaus sollen die Strafzahlungen für 2025 ausgesetzt werden und Ziele für 2030 und 2035 massiv abgeschwächt werden, damit die Hersteller noch länger Gewinne mit Verbrennern machen können.
Als Begründung berufen sie sich auf die - zumindest in Deutschland - enttäuschenden Verkaufszahlen von E-Autos in 2024. Dies ist aus zwei Gründen falsch. Erstens litt der deutsche Markt im letzten Jahr unter einmaligen Effekten. Dazu zählen der abrupte Wegfall der Kaufprämie und verunsicherte Käufer infolge der E-Fuels-Debatte. Zweitens muss die Logik der Flottengrenzwerte berücksichtigt werden. Weil die Ziele in Stufen alle fünf Jahre verschärft werden, haben die Hersteller einen Anreiz, ihre E-Auto-Verkäufe möglichst in das Jahr der Verschärfung, also 2025, zu schieben. Diesen Effekt sehen wir jetzt: Noch nie wurden in einem Januar in Deutschland mehr E-Autos verkauft als in diesem Jahr - trotz eines insgesamt schrumpfenden Automarktes. Dieser Trend wird sich im Laufe des Jahres verstärken, weil die Hersteller erstmals elektrische Kleinwagen für unter 25.000 Euro anbieten und damit ein Marktsegment erschließen, das bis jetzt elektrisch nicht bedient wurde.
Die Forderungen der Industrie nach einer Aufweichung der Ziele drohen diese Entwicklungen im Keim zu ersticken. Stattdessen muss die Kommission jetzt ein Paket zur Unterstützung der Transformation auf den Weg bringen.
Kurzfristig muss die Nachfrage weiter angekurbelt werden. Die von EU-Kommissar Tzitzikostas angekündigten Elektrifizierungsziele für große Flottenbetreiber wären hierfür der größte Hebel. Unsere Analysen zeigen, dass ein solches Ziel allein die Hälfte der E-Auto-Verkäufe sichern könnte, die zur Erreichung der Emissionsziele für 2030 erforderlich sind. Durch die Zölle für E-Autos aus China wird die EU nach unseren Berechnungen zwischen drei und sechs Milliarden einnehmen. Diese Mittel sollten genutzt werden, um Menschen mit geringerem Einkommen den Zugang zu kleinen E-Autos zu ermöglichen.
Mittelfristig muss die EU die Voraussetzungen für eine wettbewerbsfähige europäische Batterieindustrie schaffen. Europas momentane Abhängigkeit von China an fast jeder Stelle der Lieferkette stellt ein geopolitisches Risiko dar und bedroht wichtige Industriearbeitsplätze. Um diesen Trend umzukehren, muss die EU-Förderpolitik vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
Die Regeln der EU sind zu bürokratisch und intransparent, wenn es um Planbarkeit der Förderung geht und zu lax, wenn es um klare Maßgaben für Technologietransfer, CO2-Kriterien für die Herstellung sowie lokale Wertschöpfung geht. Das Gegenteil von beidem ist notwendig.
Langfristig muss die Kommission der Industrie Planungssicherheit geben. Eine Änderung der Regulierung würde die Hersteller bestrafen, die große Investitionen getätigt haben, um die Ziele zu erreichen. 2030 wird der chinesische Automarkt so groß sein, wie die beiden nächstgrößeren Märkte, EU und USA zusammen. Bereits heute fahren in China 50 Prozent der neu zugelassenen Autos elektrisch. Wenn europäische - und insbesondere deutsche - Hersteller in Zukunft in China noch mitspielen wollen, müssen sie ihre Energie in Zukunftstechnologien stecken, anstatt demokratisch beschlossene Gesetze zu attackieren.
Jeder Schritt zurück zementiert den Rückstand, den europäische Hersteller heute auf ihre Konkurrenz aus China haben. Die EU muss die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Industrie im Auge haben, nicht die quartalsgetriebenen Gewinnabsichten ihrer CEOs.
Die EU-Kommission plant Vorgaben, um große Firmenflotten schneller zu elektrifizieren. Dadurch könnte die Hälfte der E-Fahrzeugverkäufe gesichert werd...
Aber die EU und das Vereinigte Königreich laufen Gefahr, den Anschluss zu verpassen, da die Hälfte der lokalen Recyclingprojekte auf der Kippe steht.