Meinung

Coronavirus – Für einen neuen „Green Deal“

April 1, 2020

An Corona kommt keiner vorbei. Was uns noch vor wenigen Wochen in weiter Ferne schien, betrifft nun den Alltag von Millionen Europäern. Nicht nur den Italienern wird gesagt, sie müssen zu Hause bleiben und Reisen auf ein Minimum beschränken. In Frankreich, Spanien, Deutschland, Polen, Belgien und einer Reihe anderer Länder sind Notfallmaßnahmen in Kraft. Das neue Coronavirus ruft uns ins Bewusstsein, wie verletzlich wir Menschen sind. Es zeigt uns aber auch, wie schlecht wir auf die Erschütterungen vorbereitet sind, die uns erwarten, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten.

Inmitten dieser Krise ist die Erkenntnis, dass wir in einer Notsituation immer noch in der Lage sind, schnell und radikal an einem Strang zu ziehen, ein Silberstreif am Horizont. Sogar meinem Heimatland Belgien mit seinem außerordentlich komplizierten Regierungssystem ist es gelungen, seine Differenzen zu überwinden und Unternehmen und Bürgern beispiellose Beschränkungen aufzuerlegen. Überraschenderweise gibt es neben all der Angst und Besorgnis auch ein Gefühl der Einheit, Solidarität und Willenskraft. Gemeinsam können wir die Gesundheitskrise überwinden.

Doch währenddessen rutscht unsere Volkswirtschaft in eine Rezession, deren Ausmaß noch nicht abschätzbar ist. Veranstaltungen werden abgesagt, Restaurants geschlossen und Kleinunternehmen gezwungen, wochenlang dichtzumachen, während Konsum und Produktion einbrechen (Lieferdienste, Zoom-Videokonferenzen, Netflix und Toilettenpapierhersteller sind da die Ausnahme). Manche mögen annehmen, dass die Corona-Krise uns den Weg aus dem Problem der Verkehrsemissionen weist – Flugzeuge werden am Boden gehalten, Menschen arbeiten in einem noch nie dagewesenen Ausmaß von Zuhause aus, Reisen werden drastisch reduziert. Aber das ist ein Irrtum. Wir sind Zeugen einer Tragödie und des Anfangs einer schwerwiegenden Notlage für Menschen und Unternehmen in ganz Europa.

Europa steht nun vor einer Frage, die seine Zukunft bestimmen wird: Wie gehen wir mit der Wirtschaftskrise um? Und können wir den „Green Deal“ retten?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyens Versprechen, die Schuldenregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts auszusetzen, ist ein erster richtiger Schritt. Aber wir werden darüber hinaus viel drastischere Maßnahmen benötigen, um zu verhindern, dass es zu einer regelrechten Depression kommt. Dieses umfangreichere Konjunkturprogramm muss mit dem kürzlich beschlossenen europäischen „Green Deal“ und der europäischen Industriestrategie in Einklang gebracht werden. Der Teil des „Green Deal“, der Arbeitsplätze und wirtschaftliche Entwicklung betrifft, muss jetzt deutlich gestärkt werden. Wir brauchen einen neuen „Green Deal“.

Das Konjunkturprogramm sollte Entlastungen schaffen, Arbeitsplätze sichern und gesunden Unternehmen helfen, den Sturm zu überstehen. Vor allem aber sollte es neue Arbeitsplätze schaffen, um alte zu ersetzen, die nicht gerettet werden können. Unsere finanziellen Ressourcen sind nicht unerschöpflich; deshalb müssen Entscheidungen getroffen werden. Wir dürfen nicht all unsere knappen Ressourcen verheizen, um die vor der Krise bestehende Ordnung wiederherzustellen, sondern müssen uns stattdessen auf die Beschleunigung des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft konzentrieren. Dies bedeutet, dass Regierungen es vermeiden müssen, wirtschaftliche Fehlanreize zu schaffen, die die zu einem „Lock-in-Effekt“ bei zukünftigen Treibhausgasemissionen führen würden. Das betrifft beispielsweise den Ausbau des Straßennetzes, die Vergrößerung von Flughäfen oder Kaufanreize für Diesel- und Benzinfahrzeuge.

Wir sollten auch nicht dem opportunistischen Rat einiger Autohersteller folgen, die schamlos vorschlagen, die von uns in diesem Artikel erläuterten CO2-Emissionsnormen der EU für 2020-2021 aufzugeben. Eine Senkung der Standards und der Investitionen in umweltfreundliche Technologien ist auf kurze Sicht alles andere als hilfreich und auf lange Sicht der sicherste Weg in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit Europas.

Maßnahmen wie Steuererleichterungen, Überbrückungskredite sowie staatliche Unterstützung durch Kurzarbeitergeld wurden bereits eingeführt oder werden in Betracht gezogen. Ein intelligentes Konjunkturpaket würde die Unterstützung davon abhängig machen, dass die Autohersteller den Übergang zu emissionsfreien Fahrzeugen fortsetzen und gleichzeitig in Europa investieren. Eine Bedingung für US-Präsident Barack Obamas Rettung von General Motors und Fiat Chrysler im Jahr 2009 war, dass die Automobilhersteller den ehrgeizigsten CO2-Emissionsnormen aller Zeiten zustimmen – und es war ein Deal, der der Autoindustrie sehr gute Dienste geleistet hat.

Dasselbe Prinzip sollte auch für die Luftfahrtindustrie gelten, die durch die Corona-Krise enorm erschüttert wird. Der Kernpunkt dabei ist der, dass die Fluggesellschaften nicht in schlechten Zeiten öffentliche Hilfen fordern können, wenn sie sich in guten Zeiten weigern, Steuern zu zahlen und zum Klimaschutz beizutragen. Daher sollte jede Rettungsmaßnahme oder Subvention davon abhängig gemacht werden, dass Steuern und eine Förderung sauberer Flugkraftstoffe nach der Rezession in Kraft treten.

Europa stehen schwere Zeiten bevor. Wenn wir an einem Strang ziehen, können wir die Gesundheitskrise überwinden. Wenn wir intelligent sind, können wir die Nöte minimieren und die begrenzten Ressourcen bündeln, um klimafreundlicher, stärker und widerstandsfähiger aus dem uns bevorstehenden Konjunkturschock hervorzugehen.

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