Meinung

Break your Dreams

Sebastian Bock — März 4, 2024

Wie der chinesische Autohersteller BYD zunehmend zur Gefahr für VW wird

Für die Hafenarbeiter in Bremerhaven ist diese Woche  wie jede andere. Ein weiteres Schiff mit tausenden Neuwagen legt an. Wie an einer Perlenschnur gezogen wird Auto nach Auto von Deck fahren. In Wolfsburg hingegen werden die Sorgenfalten wohl noch tiefer werden. Denn unter den  Schiffen, die in Bremerhaven festmachen, ist ein besonderes Schiff. Es gehört nicht nur  – wie der Name BYD Explorer 1 verrät – dem chinesischen Automobilbauer Build Your Dreams (BYD), es läutet auch die nächste Runde im Kampf um die Vorherrschaft auf dem Markt für E-Autos ein.

Sollten die deutschen Hersteller – allen voran Volkswagen (VW) – keinen Strategiewechsel vornehmen und die Politik die Rahmenbedingungen für E-Mobilität nicht grundsätzlich ändern, könnte die Ankunft der Explorer 1 den Anfang vom Ende der marktbeherrschenden Stellung der deutschen Automobilindustrie markieren. Break Your Dreams.

Lange gab es eine Statistik, über die man sich in Wolfsburg besonders freute: Niemand verkaufte in China – und damit im größten Automarkt der Welt – mehr Autos als VW. Jahr für Jahr. Bis BYD 2023 im heimischen Markt zum Überholmanöver ansetzte und VW von der Spitze verdrängte. Für VW noch bedenklicher: unter den Top 10 im Zukunftssegment der E-Autos befand sich 2023 kein einziges Modell der Wolfsburger. Beflügelt vom Erfolg zuhause, sucht BYD jetzt nach neuen Märkten in Übersee.

Weil BYD nicht genügend Kapazitäten auf existierenden Autofrachtern buchen konnte, entschloss sich die Firma, einfach selbst zum Reeder zu werden. Die Explorer 1 ist nur das erste von acht weiteren bestellten Schiffen. Jedes ist groß genug für mehrere tausend Autos.

Für VW geht es ums Ganze. Es bleibt dem Unternehmen dabei nur die Flucht nach vorn. Um langfristig mit BYD und Co. konkurrieren zu können, müssen die Wolfsburger innovativer oder günstiger als die Konkurrenz sein. Wer einen Blick in die Preis- und Ausstattungslisten der aktuellen Modelle wirft, stellt schnell fest: VW weder das eine noch das andere.

Dass es auf Kostenseite anders geht, haben wir in einer Studie aufgezeigt. Es wäre durchaus  möglich, auch in Europa bezahlbare Elektroautos im Klein- und Kompaktwagensegment zu bauen und gewinnbringend zu verkaufen, so die Analysten von T&E. Kurz nach Veröffentlichung im letzten Herbst wurden unsere Modellrechnungen durch die ersten Ankündigungen von VWs europäischer Konkurrenz bestätigt. Citroen bringt mit dem C3 in diesem Jahr einen kompakten Stromer für weniger als 25.000 Euro auf den Markt. Renault stellt just diese Woche auf dem Genfer Salon den R5 im selben Preissegment vor.

Doch obwohl schon VW-Chef Blumes Vorgänger den ersten wirklichen “Volksstromer” angekündigt hatte und auch Kanzler Scholz auf dem letzten Autogipfel nochmal bezahlbare E-Autos made in Germany gefordert hat, haben sich VWs Pläne immer wieder verschoben. Vor 2026 sei wohl nicht mit nennenswerten Zahlen des Einstiegsmodells zu rechnen.

Mag die Markenloyalität den deutschen Herstellern im Luxussegment noch ein paar Jahre kaufen, hat VW diese Zeit nicht. Ohne eine elektrische Antwort im Volumensegment ist es eine Frage der Zeit, bis BYD auch in Deutschland VW vom Zulassungsthron stößt. Kann VW diese Antwort nicht allein geben, sollte der Konzern einen Blick in die eigene Historie werfen. Als VW den Sprung nach China wagte, erlaubte die chinesische Führung das nur unter einer Bedingung: die Wolfsburger mussten joint ventures mit lokalen Herstellern eingehen und ihnen Zugang zu VWs Technologie geben. VW sollte nun den umgekehrten Weg gehen, um wieder zur Konkurrenz aufzuschließen. Der Einstieg bei dem chinesischen Hersteller Xpeng ist dabei ein wichtiger erster Schritt gewesen. Die nun schon Jahre andauernden Probleme bei VWs Software-Tochter Cariad und die fehlenden Einstiegsmodelle zeigen, dass es wahrscheinlich nicht der letzte war. 

Neben strategischen Entscheidungen in Wolfsburg muss jedoch auch die deutsche Politik endlich die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Der Zickzack-Kurs von Verkehrsminister Wissing in der E-Fuels-Saga hat deutsche Kundinnen und Kunden nachhaltig verunsichert. Die Aussagen führender Europapolitiker der CDU sowie die Ankündigung im EU-Wahlprogramm der FDP, das Verbrenner-Aus rückabwickeln zu wollen, tun ihr Übriges. Mit dem Inflation Reduction Act (IRA) der USA und der Subventionspolitik der chinesischen Führung setzen die beiden größten Automärkte der Welt klar auf E-Autos. Das Verbrenner-Aus der EU ist somit nicht nur klimapolitisch wichtig, sondern industriepolitisch richtig. Kanzler Scholz und seine Regierung müssen es nun offensiv verteidigen und Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern klar kommunizieren: die Zukunft ist elektrisch.

Der Regierung steht hierfür ein ganzer Werkzeugkoffer an Maßnahmen auf deutscher und europäischer Ebene bereit. Das mit Abstand mächtigste ist eine Modernisierung der Besteuerung gewerblich zugelassener Autos. VW verkauft drei Viertel seiner Fahrzeuge als Firmenwagen, entweder als klassische Dienstwagen oder als Teil einer Firmenflotte. Bei anderen heimischen Herstellern zeigt sich ein ähnliches Bild. Gleichzeitig hinken gewerbliche Neuzulassungen den privaten in Bezug auf Elektrifizierung noch immer hinterher. Während 2023 24 % der privat gekauften Neuwagen elektrisch waren, traf dies nur für 16 % der neuen Firmenwagen zu. Um das zu ändern, muss Deutschland endlich mit seinen europäischen Nachbarn gleichziehen und die steuerliche Begünstigung und Absetzbarkeit von Verbrennern sukzessive auslaufen lassen. Das Prinzip ist einfach: Wer mehr ausstößt, muss auch mehr zahlen. Weil E-Autos so im Vergleich für die Unternehmen günstiger wären, würde ein planbarer Absatzmarkt für Elektrofahrzeuge geschaffen werden.

Ein Blick nach Belgien zeigt, wie schnell solche Änderungen wirken: 2021 verkündete der belgische Finanzminister, dass die Abschreibemöglichkeit von Verbrennern und Hybriden stufenweise ausläuft und gleichzeitig Ladeinfrastruktur besser abgesetzt werden kann. Im Ergebnis stieg der Anteil gewerblich neu zugelassener E-Autos in Belgien von 14% (2022) auf 26% (2023) und wird 2024 auf bis zu 60% geschätzt. In Deutschland hingegen stiegen die elektrischen gewerblichen Zulassungen zwischen 2022 und 2023 um lediglich 1.9% und blieben so hinter dem EU-Durchschnitt.

Auch, dass mit dem Citroen C3 und dem Renault R5 zwei französische Hersteller als erste Europäer in den Markt für bezahlbare, kleine E-Autos einsteigen, ist kein Zufall. Während Deutschland bis zum Wegfall der Kaufprämien diese undifferenziert an alle Hersteller auszahlte, knüpft Frankreich seine Förderung für Elektrofahrzeuge an deren ökologischen Fußabdruck. UnsereAnalysen zeigen, dass deutsche Hersteller – insbesondere VW – Vorreiter bei Investitionen in saubere Lieferketten sind. Daher sollte Deutschland dem französischen Vorbild folgen, seine heimischen Fördermaßnahmen an ökologische Kriterien und lokale Produktion knüpfen und sich dafür stark machen, dass die geplante EU-Flottenregulierung einen ähnlichen Ansatz wählt. Denn klar ist, mit deutschen oder europäischen Steuergeldern finanzierte Fördermaßnahmen, müssen Wertschöpfung und Jobs in Deutschland und Europa sichern.

Die EU-Kommission plant zur Zeit, verbindliche Regeln für den Anteil von Elektrofahrzeugen in gewerblichen Flotten auf den Weg zu bringen. Die Bundesregierung sollte diesen Vorstoß aktiv unterstützen, denn kein Unternehmen verkauft in Europa mehr Fahrzeuge auf dem gewerblichen Markt als VW. Um den Herstellern genügend Zeit zur Umstellung ihrer Produktion zu geben, muss Kanzler Scholz sich für einen planbaren, aber ambitionierten Hochlauf der Ziele einsetzen. So würde ein gesicherter Absatzmarkt für in deutsche E-Autos nicht nur im Heimatmarkt, sondern in ganz Europa geschaffen werden.

Bis dato kündigte BYD seine Pläne, im europäischen Markt Fuß zu fassen, hauptsächlich durch große Symbolik an. War es in der Vergangenheit eine Selbstverständlichkeit, dass ein deutscher Hersteller – oft VW – den größten Stand auf der IAA für sich beanspruchte, buchte 2023 BYD diesen Slot. Wurde bei der letzten EM der Spielball von einem ferngesteuerten E-Auto von VW aufs Spielfeld gefahren, so wird dieses Jahr das Logo von BYD als Mobilitätssponsor an den Spielstätten in Deutschland prangen.

Es braucht keine Kristallkugel, um zu prognostizieren, dass die Verkaufszahlen den PR-wirksamen Gesten sehr schnell folgen könnten. Nur Tage bevor die Explorer 1 sich auf den Weg nach Bremerhaven machte und BYD fast zeitgleich eine große Rabattaktion in Deutschland startete, kündigte der Hersteller den Bau eines eigenen Werks in Ungarn an. BYD will von dort den europäischen Markt beliefern. Viel Zeit bleiben VW und der Bundesregierung also nicht, um das Ruder herumzureißen und den Automobilstandort Deutschland fit für die Zukunft zu machen.

Dieser Beitrag wurde zunächst am 1. März 2024 im Tagesspiegel Background Verkehr & Smart Mobility veröffentlicht. 

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